Wahlprüfstein I „Situation der selbständigen Wissensarbeiter in Deutschland“
In Deutschland sind heute bereits mehr als 300.000 freiberufliche Wissensarbeiter in zukunftsorientierten Bereichen projektbezogen tätig. Unter Wissensarbeitern verstehen wir insbesondere Spezialisten mit technischem, naturwissenschaftlichem oder kaufmännischem Hintergrund. Das sind z.B. akademisch ausgebildete Ingenieure, Chemiker, Ärzte und IT-Spezialisten sowie Experten für Rechnungswesen und Marketing.
Besonders IT-Spezialisten sind am Markt sehr gefragt. Sie tragen erheblich dazu bei, die Digitalisierung in Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branche sowie bei öffentlichen Institutionen zu gestalten, umzusetzen und weiter voranzutreiben. Ohne Sie ist das Thema „Digitalisierung“ nicht denk- und umsetzbar.
Diese Spezialisten sind in Deutschland knapp und folglich sehr stark nachgefragt. Sie treten am Markt als selbständige Unternehmer auf und handeln mit allen unternehmerischen Chancen und Risiken. Sie akquirieren Aufträge, verhandeln frei ihre Honorare und sind sich ihres Marktwertes und ihrer unternehmerischen Verantwortung sehr bewusst.
Dennoch wird ihre privatautonome Entscheidung zum selbständigen Unternehmerdasein in die Schranken gewiesen. Wie bei allen Abgrenzungsfällen schwebt auch über diesen gut bezahlten freien Experten stets das Damoklesschwert der „Scheinselbständigkeit“. Eine klare Abgrenzung zum Arbeitnehmerstatus ist bis heute nur schwer möglich. Es besteht erhebliche Rechtsunsicherheit, welche für die Betroffenen eine große Beeinträchtigung darstellt.
Deshalb fordert die ADESW von der Politik ein klares Bekenntnis auf Selbständigkeit, was sich insbesondere im Abbau von rechtlichen und bürokratischen Hürden widerspiegeln muss. Zudem muss die Politik aktiv den Fachkräftemangel angehen und die Zukunft der Wissensarbeit mit der gezielten Förderung der „MINT“ Berufe nachhaltig stärken.
Unsere Fragen:
- Wie wollen Sie Gründer fördern, die den Wunsch haben ihr Wissen zukünftig als selbständiger Experte zu vermarkten?
- Selbständige Wissensarbeiter klagen über hohen bürokratischen Aufwand mit den unterschiedlichen Ämtern. Planen Sie konkrete Entlastungen?
- Insbesondere die „MINT“ Berufe klagen über einen drastischen Mangel an qualifizierten Bewerbern. Wie wollen Sie die Ausbildung von jungen Menschen in diesem Bereich fördern, um die Wettbewerbsfähigkeit des Hochtechnologielandes Deutschland auch in Zukunft zu erhalten?
- Die Zuwanderung wird vermutlich den akuten Fachkräftemangel in den „MINT“ Berufen absehbar nicht lösen können. Was für Konzepte haben Sie bzw. Ihre Partei, die kurz- bis mittelfristig wirken?
- Die Zahl der (hochqualifizierten) selbständigen Wissensarbeiter wächst in Deutschland nachhaltig. Der aktuelle gesetzliche Rahmen bietet derzeit aber keine verlässliche Rechts- und Planungssicherheit. Was für Lösungsvorschläge haben Sie hier?
Wahlprüfstein II „Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung“
Das Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a Abs. 1 SGB IV dient der Feststellung, ob eine Tätigkeit im Einzelfall selbstständig oder im Rahmen eines abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. Für die Durchführung dieses Statusfeststellungsverfahrens ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) zuständig. Antragsberechtigt sind die Beteiligten (der Selbstständige oder das Einsatzunternehmen, wenn Unsicherheit über den sozialrechtlichen Status besteht).
In der Praxis treten zahlreiche Probleme bei diesem Verfahren auf. Zum einen wird die Rechtsauffassung vertreten, dass alleine die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens als Indiz dafür zu werten ist, dass der Antragsteller selbst bzw. der Auftraggeber am Status des selbstständigen Unternehmers zweifelt. Zum anderen dauern die Verfahren zu lange und berücksichtigen in den meisten Fällen nur die Vergangenheit, selten die Gegenwart und fast nie die Zukunft. Zudem verstärkt sich der Eindruck, dass die gebotene objektive, aber am konkreten Einzelfall ausgerichtete, Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt und den Vertragswerken durch die DRV immer „unvollständiger“ und „pauschaler“ stattfindet. Hierfür spricht auch die große Kluft zwischen der richterlichen Auslegung, die schon heute deutlich moderner und zukunftsgerichteter ist als die Kriterien, die von der DRV Bund aktuell bei der Beurteilung des Status primär zur Bewertung herangezogen werden. Das Verfahren ist durch eine systemimmanente, subjektive Beurteilung des jeweiligen Prüfers sehr unzuverlässig, für die Beteiligten sehr intransparent und basiert teils auf nicht mehr zeitgemäßen Kriterien, die einem modernen Arbeits- und Projektmarkt nicht mehr gerecht werden.
Deshalb fordert die ADESW eine Modernisierung des Prüfverfahrens mit klar definierten Positivkriterien für eine Selbständigkeit. Die herangezogenen Abgrenzungskriterien müssen im Lichte moderner, selbständiger Tätigkeitsformen im Projektgeschäft – einer typischerweise betriebsmittelarmen Dienstleistungsbranche im Zeitalter der Digitalisierung – interpretiert, gewichtet und ausgelegt werden.
Unsere Fragen:
- Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einer Modernisierung des Prüfverfahrens der Deutschen Rentenversicherung bzw. halten Sie eine solche für sinnvoll?
- Falls ja, welche Vorschläge haben Sie / Ihre Partei, um das Prüfverfahren zu modernisieren?
- Wie kann eine zukunftsgerichtete und rechtssichere Statusfeststellung im Lichte der zunehmend verschwimmenden Grenzen zwischen abhängigem und selbständigem Erwerb ausgestaltet werden?
Wahlprüfstein III „Altersvorsorge von selbständigen Wissensarbeitern“
In der aktuellen Rentendebatte fordern Politiker unterschiedlicher Parteien die Einführung einer Renten- bzw. Altersvorsorgepflicht für Selbständige. Grundlage dieser Forderungen sind häufig Studien und sozioökonomische Erhebungen, wie der Mikrozensus oder das Sozio-ökonomische Panel (SOEP), die leider wenig differenzierend auf die Gruppe der sogenannten Selbständigen bzw. Soloselbständigen blicken. Die herangezogenen Studien lassen viele wichtige Punkte der Altersvorsorge von Selbständigen außer Acht. So werden beispielsweise bereits erworbene Rentenansprüche aus einer vorigen abhängigen Beschäftigung sowie private Vorsorgemöglichkeiten wie z.B. Immobilien, Wertpapiere, Fonds oder die staatlich geförderte Rürup-Rente nicht als Altersvorsorgevarianten in den Erhebungen abgebildet. Dies erzeugt das Bild, dass Selbständige pauschal nicht für ihr Alter vorsorgen. Zudem kann die herangezogene Vergleichsgruppe aufgrund ihrer bloßen Größe oft nicht als repräsentativ angesehen werden.
Die ADESW fordert deshalb einen differenzierten Blick auf die sehr heterogene Gruppe der Selbständigen. Innerhalb dieser Gruppe gibt es riesige Diskrepanzen bei den Einkommens- und Altersvorsorgemöglichkeiten. Die Spannbreite der ausgeübten Tätigkeiten reicht von einem sehr gut verdienenden selbständigen IT-Berater, der ausreichend für sein Alter vorsorgt, bis hin zu Tätigkeitsmodellen, bei denen zu minimalen Stundensätzen und teilweise aus Mangel an Alternativen eine selbständige Arbeit ausgeübt wird. Dabei kann kaum genug Gewinn aus der Selbständigkeit erzielt werden, um davon zu leben – geschweige denn für das Alter vorzusorgen.
Die ADESW erkennt die Notwenigkeit für eine Altersvorsorge von Selbständigen, die aufgrund ihres geringeren Einkommens keine Möglichkeit haben, für das Alter vorzusorgen, an. Dies darf jedoch nicht auf Kosten von Selbständigen geschehen, die bereits in verschiedenen Formen für ihr Alter vorsorgen.
Wir plädieren in der Diskussion um eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbständige für einen faktenbasierten Diskurs und eine differenzierte Analyse der tatsächlichen Situation, um nachhaltige und rechtssichere Rahmenbedingungen für diejenigen zu gewährleisten, die freiwillig selbständig sind, gut verdienen und nachhaltig und verantwortungsvoll für ihre Zukunft vorsorgen.
Unsere Fragen:
- Hochqualifizierte Selbständige verdienen gut und sorgen nach unseren Erfahrungswerten auch für ihr Alter vor. Wie ist die Position Ihrer Partei zur Altersvorsorge von Selbständigen und welche Differenzierungen gedenken Sie dabei vorzunehmen?
- Wie hoch liegt die Verdienstgrenze (Honorar auf Monats- oder Jahresbasis), ab der ein Selbständiger aus Ihrer Sicht in der Lage ist, eigenständig Altersvorsorge zu betreiben?